Biometrie-Einleitung

Bio- / Chemometrie, Statistik, Stochastik und Qualität

Die Überschrift des Kapitels liest sich wie eine Ansammlung von Schlagworten, deshalb zunächst eine Erläuterung der Begriffe:

  • Biometrie versteht sich als ein Verfahren zur Bestimmung biologischer Größen sowie deren Auswertung.
  • Chemometrie beschäftigt sich mit der Bestimmung chemischer Größen sowie deren Auswertung.
  • Statistik beschäftigt sich mit der Bedeutung, Aussagekraft und Auswertung von Daten. Sie beschreibt Daten und versucht, von wenigen Beobachtungen auf allgemeingültige Aussagen zu schließen. Statistik beschreibt mögliche Zusammenhänge zwischen Daten.
  • Stochastik ist ein Teilgebiet der Statistik. Sie beschäftigt sich mit der Untersuchung von Wahrscheinlichkeiten.
  • Qualität beschreibt das Maß, in dem Merkmale vorgegebene Anforderungen erfüllen.

In dem Ziel, verlässliche und von Kompetenz gekennzeichnete Aussagen in Analytik und Wissenschaft zu treffen, wie in dem Ziel, verlässlich zu produzieren und mit einem vorge­gebenen Anspruch konforme Produkte zur Verfügung zu stellen, vereinigen sich die in der Überschrift bezeichneten Elemente in der Sicherung zugesagter Qualität.

Wir sind alle Kunden und lassen uns durch zugesagte Eigenschaften leiten.
Die Aussage „Der Apfel ist süß“ beschreibt ein Merkmal eines bestimmten Apfels. Sie beschreibt die Qualität. Die Bestimmung des Zuckergehaltes des Apfels liefert eine Aussage über die Konzentration oder den Massegehalt von Fructose im Fruchtfleisch des Apfels, wobei von der Aussage einer oder weniger durchgeführter Analysen mit dem aufbereiteten Fruchtfleisch des Apfels auf den Fructosegehalt des ganzen Apfels geschlossen wird. Eine Aussage zum Geschmack/Zuckergehalt einer Sorte oder einer Ernte wird damit nicht getroffen.

Das Beispiel zeigt „Biometrie“ im praktischen Einsatz. Eine biologische Größe wurde gustatorisch (also mithilfe des Geschmackssinns) erfasst. Da „Geschmack“ immer auch persönliche, individuelle Aspekte einfließen lässt, liegt es nahe, über die Bestimmung eines Stoffes, der zur Geschmacksempfindung „süß“ wesentlich beiträgt, die Aussage mithilfe der Chemometrie zu ergänzen. Der Zuckergehalt wird mit Hilfe von Stichproben in einem chemisch-analytischen Verfahren ermittelt. Aus einem Untersuchungsgegenstand „Apfel“ mit dem Merkmal „süß“ entstehen so Stichproben und eine Anzahl Messwerte. Alle Messwerte einer Stichprobe bringen einen eigenen Fehler mit. Die rote Sonnenseite des Apfels enthält möglicherweise größere Zuckerkonzentrationen als die grüne Schattenseite. Das arithmetische Mittel der Zuckerkonzentration vermittelt einen Gesamteindruck von der „Süße“ des Apfels. Angegeben wird nicht der Fructosegehalt einer einzelnen möglichst typischen Messung. Die erhobenen Messwerte werden vielmehr zuerst verarbeitet. Die Ergebnisangabe erfolgt häufig als arithmetischer Mittelwert von Einzelwerten, die zuvor um mögliche „krasse“ Abweichungen (Ausreißer) bereinigt wurden.

Biometrie, Chemometrie und Statistik können eng miteinander verbunden sein. Laufen die Aussagen der Biometrie immer auf chemisch-analytische Messungen hinaus? Nein, die biometrische Frage nach der „typischen“ Anzahl der Ferkel eines Wurfes erfordert sicher nicht den Einsatz der Chemometrie, aber wiederum den Einsatz der Statistik.

Qualität ist kein Zufall, sondern vom Zufall beeinflusst. Wie die eigenen Erfahrungen zeigen, sind Abweichungen nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Die Stochastik bemüht sich um die Erfassung und rechnerische Handhabung der Einflüsse des Zufalls auf die Ergebnisunsicherheit.

Kompetenz in Biometrie, Chemometrie und Statistik kann Leben bewahren, wie das folgende Beispiel zeigen will 😉 . Ohne vom Inhaltlichen ablenken zu wollen, bemüht sich der folgende Text um politische Korrektheit, die das Original der Gebrüder Grimm leider etwas vermissen lässt.

Die These: Hätte Schneewittchen etwas von Biometrie verstanden, wäre sie nicht vergiftet worden.

Wir erinnern uns an die Strafsache „Schneewittchen und die 7 Kleinwüchsigen“?

Unter dem Gesichtspunkt „Biometrie / Chemometrie“ ein besonders interessanter Fall. Selbstverständlich ist das Inverkehrbringen von Betäubungsmitteln via „Kamm“ – also einer Kontaktnoxe – eine Straftat, unbestritten ist auch die Attacke mit dem Mieder – übrigens ein geschickter Appell an die Eitelkeit einer Heranwachsenden – als Tötungsversuch zu werten und war durch Schneewittchens jugendbedingte Arglosigkeit für diese weder vorhersehbar noch vermeidbar. Das kann jedem und jeder von uns passieren.

Anders hingegen verhält es sich bei dem dritten Tötungsversuch. Ihm wäre beinahe Erfolg beschieden gewesen.

Mit mindesten Kenntnissen der Biometrie und Chemometrie hätte Schneewittchen sich diesem Anschlag nicht aussetzen müssen, hätte das infame Attentat im Ansatz scheitern müssen. Schneewittchen war im mannbaren Alter, also um 18 Jahre alt. Was in der Bio-/Chemometrie hätte sie vor der Attacke bewahrt?

Wir erinnern uns: Nach zwei misslungenen Angriffen durfte die Stiefmutter nicht mehr auf die unvoreingenommene Harmlosigkeit ihres Opfers hoffen. Das Vertrauen der Kundin „Schneewittchen“ war prinzipiell gestört. Ihr Glauben an die Qualität angebotener Waren hatte gelitten. Von einer Prüfung jedweden Angebotes musste die Attentäterin also ausgehen. Da die Bekömmlichkeit von frischem Obst für Werktätige bekannt war, konnte sie annehmen, dass die Fürsorge des zu der Zeit als Hauswirtschafterin aktiven Schneewittchens einen angemessenen Anknüpfungspunkt und somit Kaufanreiz enthalten würde. Wie oben geschildert, war auf eine schlichte ungeprüfte Abgabe der Ware nach den vorangegangenen Vorfällen nicht zu hoffen. Deshalb präparierte die Agressorin einen Apfel so, dass er eine giftige rote Hälfte und eine ungiftige grüne Hälfte besaß. Die „Inhaltsstoffe/Kontamination“ des Lebensmittels „Apfel“ waren also extrem inhomogen verteilt. Ihre Kenntnis von der Verteilung wollte die Attentäterin nutzen, um in einer gustatorischen Prüfung einer Probe, an der sie selbst als Testobjekt teilnehmen wollte, den ungefährlichen Teil des Lebensmittels zu kosten, um damit Schneewittchen von der Ungefährlichkeit und Bekömmlichkeit des Obstes zu überzeugen.

Im Märchen bot sie die Ware „Apfel“ feil und erzeugte durch Teilung des Obstes in eine rote und eine grüne Hälfte zwei Stichproben.

Welcher Fehler war es, der Schneewittchen um ein Haar das Leben gekostet hätte?
Sie hat nicht auf die Repräsentanz der Stichprobe geachtet! Es war im Ansatz falsch, bei der Untersuchung einen offensichtlich vom Rest der Frucht verschiedenen Anteil zu untersuchen. Es war im Ansatz falsch, nicht auf die Vergleichbarkeit der Stichproben zu achten.

Im Unterschied zum wahren Leben kennt das Märchen zwar auch Zustände jenseits von „tot“ und „lebendig“. Ein Mittelwert derartiger Ausprägungen ist jedoch nicht „halbtot“ oder „halblebendig“, sondern sinnlos! Da nur zwei Ausprägungen zulässig sind, kann eine Mittelwertbildung nicht vorgenommen werden. Die Stiefmutter hätte sich auf eine andere als die von ihr vorgesehene Stichprobe nicht eingelassen, was dann das Misstrauen des Schneewittchen hätte wecken müssen. Somit hätte Schneewittchen nicht sterben müssen, wenn sie einige Grundregeln der Biometrie beachtet hätte.

Schneewittchens Stiefmutter wollte sich vom Tod der Mitbewerberin um den Titel „Schönste im ganzen Land“ mit eigenem Augenschein überzeugen. Ein vergifteter Apfel in einem Korb voller Äpfel hätte nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit einen Erfolg im Sinne der Attentäterin ergeben. Auch der Einsatz eines hohen Prozentanteils kontaminierter Früchte Evas hätte noch immer das Risiko des Misserfolges in sich getragen. Denn schon der Tod des ersten apfelessenden Kleinwüchsigen hätte Schneewittchen gewiss vom eigenen Genuss der Früchte abgehalten. Es ist also anzunehmen, dass die Attentäterin über eine gewisse Bildung in Biometrie und Statistik verfügte.

Starke Argumente sprechen also dafür, dass Schneewittchens Sicherheit von einer überlegenen biometrischen Kompetenz zumindest deutlich profitiert hätte.

Wer die Geschichte nicht mehr so genau kennt:

http://www.1000-maerchen.de/cAContent,1,1,2,0-Gebrueder-Grimm.htm

Anmerkung:
Auch für andere Aspekte der Mathematik und Qualitätssicherung bieten die Märchen der Gebrüder Grimm gute Vorlagen. Man denke an Sortier- und Suchalgorithmen bei Aschenputtel.

Die vorliegenden Texte verwenden Beispiele, die vorwiegend dem Alltag von Labor und Produktion entnommen sind. In den beigefügten Übungsaufgaben sind weitere Gebiete zu entdecken. Anregungen, Korrektur- und Erweiterungswünsche sind stets hochwillkommen.

Kapitel 1: Maßzahlen zur quantitativen Beschreibung von Befunden

Ziele: Eigenschaften von „Merkmalen“ und „Stichproben“? Nicht alle Merkmale eignen sich zur Ermittlung einer bestimmten statistischen Maßzahl, deshalb werden unterschiedliche Skalentypen besprochen. Neben dem arithmetischen Mittel kommen auch dem Zentralwert (Median) und Dichtemittel einige Bedeutung in der Bio-/Chemometrie zu. Eigenschaften und Ermittlung dieser Mittelwerte bei geringem und großem Stichprobenumfang sowie unterschiedlicher Streuungsmaße sind Themen des Kapitels.

Kapitel 2: Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung

Zufall oder nicht? Das Kapitel gibt zunächst Einblick in die Grundlage der Rechnung mit Wahrscheinlichkeiten und stochastische Unabhängigkeit, um dann über Wahrscheinlichkeitsverteilungen Maßzahlen zur Beschreibung einzuführen. Mit der Einführung der „Überschreitungswahrscheinlichkeit“ wird die Basis zur Interpretation biometrischer Tests gelegt. Typische Frage: Ist der Würfel „präpariert“?

Kapitel 3: Biometrische Prüfung von Häufigkeiten

Wenn es Annahmen zur Häufigkeitsverteilung gibt, in der sich eine Stichprobe darstellen muss oder die Ergebnisse zweier Stichproben, in denen Häufigkeiten bestimmt wurden, miteinander verglichen werden sollen, geben ein Anpassungstest oder ein Homogenitätstest oft die richtigen Hinweise zur Beurteilung von Abweichung oder Übereinstimmung. Typische Frage: Entspricht das Ergebnis eines Kreuzungsversuches dem vermuteten Erbgang?

Kapitel 4: Bio-/Chemometrische Prüfung von Messwerten

Während sich Kapitel 3 mit der Prüfung von Häufigkeiten und Wahrscheinlichkeiten befasste, führt dieses Kapitel in den Bereich der Stichprobenvergleiche ein, deren Merkmale mehr oder weniger normalverteilt vorliegen. Typische Frage: Sind die Mittelwerte und Streuungen der beiden gemessenen Proben identisch?